Trinidad

Mehr als das Finanzzentrum der Karibik

 

Insel vor Venezuelas Küste. Die große Schwester Tobagos. Reich an Ölvorkommen. Heimat von Lebensfreude, Calypso und dem Karneval, der als „The greatest Show on Earth“ bezeichnet wird. Trinidads Karneval ist pulsier-ender Rhythmus, der alle Sinne anregt. Immer anschwelender erklingt in der Wiege des karibischen Faschings der Aufruf „play mas“.

 

Seit Dezember lässt sich auf dem Eiland dieses Motto („Feiert Karneval!“) in Printmedien und auf Werbeplakaten nicht übersehen. Sämtliche Fernseh- und Radiosender spielen die Ohrwürmer der Saison rauf und runter und auch in den Lokalen und Clubs vibriert die (Tanz-)Stimmung, die sich bei zahlreichen Veranstaltungshöhepunkten vor Aschermittwoch entlädt.

 

Ende des 18. Jahrhunderts brachten französische Plantagenbesitzer ihre traditionellen Maskenbälle von Europa in die Karibik, nach Trinidad. Die von der damaligen Herrscherklasse übertrieben elegant gestalteten Straßenzüge wurden nach dem Ende der Sklaverei von den ehemals afrikanischen Sklaven und Inselbewohnern parodiert, die ihre Festzüge um die aus ihren eigenen Kulturen stammenden Rituale, Charaktere, Tänze und Musik ergänzten.

 

In den folgenden Jahren drängten zudem immer mehr Slumbewohner – Arbeitslose, Migranten, Prostituierte – in den Straßenkarneval. Die Gewalt bei den Umzügen stieg. Wohl auch, um die Privilegierten zu schockieren. Was auch gelang: Die weiße Oberschicht, aber auch die einheimische Mittelklasse feierte fortan hinter verschlossenen Türen. Die Regierung versuchte die zunehmende Brutalität einzudämmen, indem der Karneval auf die letzten beiden Tage vor Aschermittwoch verkürzt wurde. 1846 war sogar das Tragen von Masken verboten (wie heuer in Venedig, wenn auch aus einem anderen Grund). Erfolg stellte sich erst ein, als Preise für die besten Kostüme vergeben und Bands gesponsert wurden.

 

Das brachte zuerst die Mittelschicht zurück auf die Straße, gefolgt von der „upper class“, die zu Beginn in geschmückten Wägen, sicher über den Köpfen der Menge feierte. Ab den 1950ern begannen Nachtschwärmer sämtlicher Gesellschaftsschichten aus aller Welt in den Straßenkarneval Trinidads einzutauchen. Die Ära des „pretty mas“ war gekommen.

 

Seit damals nimmt die Kommerzialisierung des Karnevals zu. Grund für Kulturhistoriker, sich in Studien über die alten Maskierungen zu vertiefen. Denn bevor der Bikini oder gar nackte Tatsachen im 20. Jahrhundert Einzug gehalten hatten, gab es Kostüme, die gar seltsame Geschichten von Stelzengehern („Moko Jumbies“), Matrosen („Sailors“), Indianern („Wild Indians“), Räubern („Midnight Robber“), Teufeln und Dämonen („Devils and Demons“) zu erzählen wussten.

 

Einen der traditionellen Charaktere zu verkörpern braucht mehr, als lediglich für zwei Tage im Jahr in ein Kostüm zu schlüpfen. Es ist vielmehr eine Kombination aus schauspielerischer Darbietung und kulturellem Ritual. Die Maskierten verschmelzen mit ihrer Verkleidung, übernehmen Charakter, Geschichte, Sprache, Tanz und Bräuche. Die Teilnehmer verkleiden sich allerdings nicht nur: Sie sind, was sie darstellen. Oftmals nicht nur während des Karnevals, sondern auch für alle anderen Tage des Jahres.

 

Um beispielsweise einen Teufel zu verkörpern, hat man sich von der niedrigsten Stufe, dem „Imp“, den Weg über die Hierarchie der Abscheulichkeiten über „Beasts“, „Demons“ und weitere, oftmals über vierzig verschiedene Persönlichkeiten hochzudienen.

 

Am Aschermittwoch ist das Spektakel schlagartig vorbei. Da stürmen die „Trinis“ – wie sich die Einwohner Trinidads selbst bezeichnen – Boote und Flugzeuge zur ruhigen Schwesterninsel Tobago, um sich dort von den Strapazen der vergangenen Wochen und besonders der letzten Tage und Nächte auszuspannen. „Liming“ ist wieder das Lebensmotto. Wer jetzt an das Auspressen von Zitronen denkt, den macht sauer hoffentlich lustig (Sprichwörter und Redewendungen gehören auf Trinidad zum täglichen Leben). Beim „limen“ jedenfalls passt keine der herkömmlichen Übersetzungen. Am ehesten lässt es sich mit dem bei uns gebräuchlichen „chillen“ umschreiben.

 

Wem der Fasching heuer eindeutig zu kurz war und während des Jahres einmal Lust auf ausgelassene Stimmung und farbenprächtig-opulente Kostüme hat, der kann im August, beim mittlerweile legendären „Notting Hill Carnival“ in London, das Tanzbein schwingen. Den haben die expatriierten „Trinis“ aus der Karibik zurück nach Europa gebracht. In diesem Fall stimmt die Redewendung „What happens in Trinidad stays in Trinidad.“ nicht mehr. So hat der Karneval immer Saison!

 

Autorin: M. Alexandra Rahbar-Schümatschek

erschienen am 14. Februar 2008 online in check.points Nr. 2 unter check.reise, Handelsblatt/GWP